Gedanken zum Gedenktag – 60 Jahre Mauerbau (13. August 1961/2021)

Liebe Vereinsmeier,

wie vielen im Verein vielleicht bekannt ist, bin ich ein geborener Berliner, Baujahr 1968. Bis auf 2 ½ Jahre in der Jugend (Hamburg) habe ich meine Kindheit in Tempelhof & Lankwitz verbracht. In einer eingemauerten Stadt zu leben, habe ich als Kind gar nicht so empfunden, da die Kreise von Kindern & Jugendlichen sowieso eher auf den Wohnkiez beschränkt sind. Auch meine 2 ½ Jahre in Hamburg waren Mitte 2 bis Ende 4. Klasse auf den Stadtteil Rissen beschränkt. Eine Klassenfahrt ging dort auch nur auf die andere Seite der Elbe. Bewusster wurde mir das Thema erst durch meinen damaligen Sport. Ab ca. 12 Jahren war ich privilegiert im Jahr an 10 – 15 Turnieren im Bundesgebiet oder sogar in Zürich, Linz, Malmö oder Prag teilzunehmen. Alle diese Turniere führten mich aus der Stadt hinaus. Als Westberliner also erstmal immer mindestens 250 km über die Transitstreck nach Hof (Süden), Helmstedt (Westen) oder Hamburg (Norden). Dies bedeutete am Freitag nach der Schule/Arbeit Sachen packen und ab ins Auto. Wenn es gut lief, dann hatte man am Kontrollpunkt Dreilinden nur eine kurze Wartezeit mit Passkontrolle, etc. und konnte sich dann mit 100 km/h (bloß nicht schneller, konnte teuer werde) auf den Weg Richtung Westdeutschland machen. Am Ende des Transitkorridors in Hof oder Helmstedt dann wieder Wartezeit, Passkontrolle, etc. Und nach dem Turnier am Sonntag dann die ganze Strecke wieder zurück. Turnier für Turnier, Jahr für Jahr.

Was viele heute nicht mehr wissen, während Westdeutsche einfach in die DDR oder Ostberlin mit Ihrem Pass einreisen konnten, musste der Westberliner durch den 4-Mächte Status der Stadt immer einen gesonderten Einreiseantrag stellen, um z. B. nach Ostberlin zu fahren. Also schnell abends „mal rüber“ ging nicht, dies musste immer vorher beantragt werden.

Als ich älter wurde änderte sich erstmal nichts. Mit 16 Jahren begann ich eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Im Rahmen der Ausbildung wurde mit allen Azubis des Ausbildungsjahres ein sozial pädagogischer Lehrgang auf dem Lämmerbuckel durchgeführt. Neben I-Kaufleuten waren auch Handelsfachpacker bei diesem Lehrgang dabei. Was ich 1986 nicht für möglich gehalten habe, trat dann doch ein. Nach einer Vorstellungsrunde wurde die Berliner Azubis doch gefragt, ob wir aus Ost- oder Westberlin kommen würden. Als Berliner konnte ich diese Frage überhaupt nicht nachvollziehen, weil für uns dies sonnenklar war. Nur Westberliner konnten einfach nach Schwaben reisen.

In der Sowjetunion passierten dann Dinge wie Perestroika und Michael Gorbatschow öffnete die UdSSR leicht Richtung Westen. Und Ronald Reagan hielt im Juni 1987 eine Rede am Brandenburger Tor. Ein Ausschnitt lautete „General Secretary Gorbachev, if you seek peace, if you seek prosperity for the Soviet Union and Eastern Europe, if you seek liberalization, come here to this gate. Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, tear down this wall!”. Aber vorerst passierte weiterhin nichts. In Berlin kursierte zu der Zeit ein Witz: „Wann werden Ost und West (Deutschland) wiedervereinigt sein? Antwort: 2014 Nachfrage: Wieso 2014? Antwort: 2014 wird die DDR 65 Jahre alt und darf rüber.“ (DDR-Bürger im Rentenalter konnte viel einfacher aus der DDR ausreisen).

Aber mit der Zeit tat sich dann doch etwas, im Herbst 1989 kam es zu Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen Städten in der DDR. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ meldeten sich Woche für Woche Hunderttausende DDR-Bürger im ganzen Land zu Wort und protestierten gegen die politischen Verhältnisse. Ziel war eine friedliche, demokratische Neuordnung, insbesondere das Ende der SED-Herrschaft, zudem wurden Reisefreiheit und die Abschaffung des Ministeriums für Staatssicherheit gefordert. All dies gipfelte dann in einer schlecht vorbereiteten Pressekonferenz von Günter Schabowski am 9. November 1989. Es sollte eine neue Reiseregelung in Kraft treten, die es DDR-Bürgern einfacher machen würde in die BRD oder nach Berlin-West zu reisen. Dies sollte mit Passkontrollen, etc. passieren. Und die Grenzorgane der DDR sollten vorher noch informiert werden. Eine Gültigkeit „ab sofort, unverzüglich“ wie sie in der Pressekonferenz benannt wurde, war nie geplant gewesen. Durch Infos aus dem Westfernsehen sowie Gerüchte in Ostberlin machten sich DDR-Bürger gleich am Abend auf dem Weg zu Grenzübergangsstellen nach Westberlin. Als der Druck der anwesende Bürger zu groß wurde, öffneten die Grenzbeamten einfach die Grenze. Dies war so nicht vorgesehen. Alles was dann passierte ist, ist heute Geschichte.

Ich selber erlebte „die Wende“ am 10. November 1989 morgens vor dem Fernseher. Mit Bein im Gips konnte ich nicht viel mehr machen, als am Fernseher diese unglaublichen Vorgänge mitzuerleben. Menschenmassen auf der Bornholmer Brücke, Trabis auf dem Ku-Damm. Wahnsinn. Ich war 21 Jahre alt, als die Mauer fiel.

Heute bin ich froh, dass ich als Berliner in einer 3,5 Millionenmetropole lebe und am Sonntag in die Rochstr. zum Training gehen kann, am Donnerstag nach Wedding oder am Samstag nach Steglitz. Ich liebe diese Stadt ohne Grenzen und das Multikulti aus vielen Nationen und aus „Ossis“ und „Wessis“. Ich möchte, dass so etwas nieder wieder passieren kann. Und ich möchte, dass sich trotzdem alle immer daran erinnern, dass Berlin viele Jahre lang geteilt war und leider an manchen Stellen nur sehr langsam wieder zusammengewachsen ist.

Ich wünsche mir, das Jugendliche, Jungerwachsene oder Neuberliner sich auch mit diesem Teil der Berliner Geschichte beschäftigen. Mit Ihrem Geburts- oder neuem Wohnort. Einen wichtigen Teil dieser Geschichte bringt einem die Gedenkstätte Bernauer Straße näher. https://berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/  

Abschließen möchte ich mit einem Link zum Wortlaut der Rede unseres Bundespräsidenten zum 60. Jahrestages des Mauerbaus. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2021/08/210813-Gedenken-Mauerbau.html

–> englisch

Wir sehen uns beim Training
Carsten